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zunächst die Weber-Zünfte dagegen, weil sie durch die zunehmende Automatisierung um ihre Existenz fürchteten. Ein anderes Imitat ist die Gobelin-Malerei, wo durch farbige Bemalung eines ähnlich gewirkten Stoffes der Gobelin-Charakter simuliert wird. Bei der Gobelin-Stickerei wird eine Leinwand als Trägermaterial mit Wolle oder Seide benäht. Auch das Sticken ist eine uralte handwerkliche Technik, die bereits aus den antiken Hochkulturen der Assyrer, Ägypter, Inder und Chinesen überliefert ist. Im europäischen Mittelalter hatten Stickereien an Herrscher- und Bischofsgewändern und Altarbehängen im Unterschied zur Bildwirkerei jedoch zumeist keinen bildgebenden, sondern einen verzierenden Charakter, d.h. die eingestickten Goldfäden etc. machten den Umhang oder Krönungsmantel nicht zum Bild. Generell hat die Stickerei jedoch durchaus einen bildhaften Charakter; man spricht z.B. von „Nadelmalerei“, wenn die Farbübergänge an gemalte Bilder erinnern. Dabei werden farblich abgestufte Fäden mit Stichen dicht nebeneinander oder übereinander gesetzt, so dass sich farbliche Verdichtungen als Schattierungen ergeben. Mit der Unterscheidung zwischen einer freien akademischen

und einer angewandten Kunst im 19. Jh. war die Ausbildung in den textilkünstlerischen Techniken eine Angelegenheit der Akademien für angewandte Künste bzw. Werkkunstschulen und Kunstgewerbeschulen gewesen. Erst mit der eingangs geschilderten Materialkunst der 1960er Jahre tauchen Exponate mit Stickereien auch als Objekte der freien Kunst im Ausstellungsbetrieb auf. An diese kunsthistorische Tradition knüpft Birgit Rüber an, wenn sie Taschentücher oder Servietten mit Zeichnungen bestickt und Texten bestückt und dabei in ironisierender Weise auch Topoi wie Leonardos „Abendmahl“ zitiert. Petra van der Steen versieht bedruckte Gebrauchstextilien mit eingestickten Texten und kombiniert diese mit Bildern, ebenfalls mit bisweilen humorigem Unterton. Aus solch einer kritisch-ironischen Distanz werden kunsthandwerkliche Techniken reflektiert, die oft als „typisch weiblich“ oder volkskünstlerisch gelten – das berühmteste Beispiel für solch eine künstlerische Bildstrategie sind die Stoffbilder mit Schottenmuster von Rosemarie Trockel als Übernahme von Alltagskulturellem in die musealisierte „Hochkultur“. Die Materialkunst der vergangenen

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