das Leben ihrer Mütter und Großmütter und deren textile Erzeugnisse als Material für die Kunst. Erstmals hatten viele Frauen Kunst studiert, beherrschten und rekultivierten aber auch die klassisch weiblichen Handwerksformen. Gleichsam als Archäologinnen, Ethnologinnen und Künstlerinnen recherchierten die Frauen in Sachen eigener Vergangenheit, um an Traditionen anknüpfen zu können, die bislang für die Kunst ohne Bedeutung waren. Der weibliche Körper, weibliche Sexualität, Geschlechterverhältnisse, Brauchtum und die soziale Stellung der Frau wurden zum künstlerischen Inhalt, oft repräsentiert oder in Aktionen ergänzt durch textile Objekte. Judy Chicagos Arbeiten „Dinner Party“ und „Birth Project“ sind Ikonen dieser feministischern Kunst. Zu den Künstlerinnen, deren Arbeiten ihre Wirkung mittels textiler Materialien entfalten, gehören Magadalena Abakanowicz, Louise Bourgeois, Annette Messager und Kiki Smith. Sie haben das symbolische Repertoire von Textilien durch alle möglichen Fälle dekliniert, wissen um die funktionalen Möglichkeiten und die mythologische Bedeutung von Nadel und Faden, haben Handarbeitstechniken als Erziehungsinstrumente
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patriarchaler Herrschaft analysiert,
ihren selbstverständlichen Umgang mit dem „weiblichen“
Material zelebriert und die vielfältigen Bezüge von weiblichen
Lebenswelten und Stoff offenbart.
In den Arbeiten Tracey Emins und Sophie Calles unterstützen
textile Objekte das als Kunst inszenierte Spiel mit einer
vermeintlich authentischen und doch offensichtlich fadenscheinigen
Wirklichkeit. Wahrnehmung und Identität werden
damit in Frage gestellt – ein zeitgemäßes Thema, aktuell
durch die Forderung nach Mobilität und Flexibilität in einer
globalisierten Welt und die Möglichkeiten der Konstruktion
von virtuellen Identitäten im Internet. Die weltweite Präsenz
derselben Konsumgüter, darunter auch Kleidung, ist ein
Merkmal kultureller Globalisierung. Auch sie wird − wie die
Geschwindigkeit, mit der lokale und regionale Kulturen und
damit auch textile Traditionen verschwinden − in der Kunst
reflektiert.
Künstlerinnen und Künstler, die heute mit Stoffen arbeiten,
können sich aus diesem umfangreichen kunst- und kulturgeschichtlichen
Themenfundus bedienen, um daraus neue
Werke und ihren eigenen Stil zu entwickeln.
Stoff genug gibt es.