Kunst – Stoff – Bezüge

Margret Baumann

Eine nie gekannte Pluralität der Techniken kennzeichnet die Kunst im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert. Banale Materialien wie Knetgummi, Schaumstoff, Geranien oder Brotteig stehen den Künstlern genauso zur Verfügung wie Marmor, Holz und Bronzeguss. Die von feministischen Künstlerinnen einmal forcierte Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und Traditionen hat an Schärfe verloren, der Umgang mit Textilien und Handarbeitstechniken in der Kunst hat bestenfalls an Witz gewonnen; zu weit zurück scheinen die Zeiten, als Frauen in den westlichen Ländern zu Selbstbeherrschung, Disziplinierung und zum Zeitvertreib mittels geistloser Frauenarbeit genötigt waren. Was bleibt da noch? Nur das Nachhaken und der Luxus der individuellen Feinarbeit? Die Rückseiten bestickter Bilder sind gezeigt, Kreuzstichkreuzchen auf Lottoscheinen sind gemacht, pornografische Motive sind ebenso gestickt wie das Abendmahl, Fadenenden dürfen sich schlampig unvernäht verwirren und verknoten. Das gehäkelte Apfelmännchenfraktal hängt im

Museum, grausame Tierversuche und ein verbranntes Frühstücksei gibt es ebenfalls in Wolle und Handarbeitstechnik. „Radical Crafting“ und „Subversive Knitting“ sind Strategien unter vielen. Kunst und Mode sind ebenso wie Kunst und Handwerk verschmolzen worden und haben sich wieder getrennt, das Material „Stoff“ ist fester Bestandteil des künstlerischen Material- und Medienmix. Wenn Kunst im Bezug auf frühere Werke und künstlerische Konventionen entsteht, die in Zusammenhang gebracht werden mit aktuellen Phänomenen, dann wird diese Rückschau noch viele Schritte nach vorn ermöglichen. Schon ein kurzer Blick in die Kunst- und Kulturgeschichte macht deutlich, dass es noch unzählige Themen zu entdecken geben wird, da jede Generation ihren eigenen Zugang zur Historie, aber auch zu textilen Materialien hat. Stoffe gehören seit Jahrtausenden zur Kultur der Menschen. Da sie als organische Materialien der Verwitterung ausgesetzt sind, belegen nur vereinzelte Funde, dass bereits 15 000 Jahre v. Chr. Fasern versponnen wurden. Schon auf weit älteren geschnitzten Darstellungen finden sich in Gewebe gehüllte Figuren. Kleidung und Textilien waren und sind Gebrauchsgegenstände

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