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Flickzeug: Da ich zusammengeklaut bin, steht manches noch aus – undicht der Regen¬mantel, ein paar Löcher im Strumpf, weiß der Teufel, was alles noch fehlt. Schlecht eine Hand, die zittert, den roten Faden einzufädeln.

Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn das ein Reicher ins Reich Gottes komme.

Matthäus 19,24

Kein Seemannsgarn: Der Begriff «Faden» bedeutete ursprünglich «die Arme ausbreiten, umfassen, sich erstrecken». In der Seemannssprache gilt «Faden» heute noch für ein Längenmaß: «soviel Garn, wie man mit einem ausgespannten Arm mißt». Auch das ist kein Hirngespinst. Die «Nadel» leitet sich sich von dem Verb «nähen» ab, das in Erweiterungen «spinnen, knüpfen, weben» einschließt. Eine Spinnerei stellt damals wie heute aus tierischen, pflanzlichen oder künstlichen Fasern Garne, Fäden, endlos her: Spinnen ohne Ende.

Anekdote: Der vernünftigste Mensch, den er kenne, stellte ein Schriftsteller, dessen Name mir leider nicht mehr einfällt, einmal fest, sei sein Schneider: «Er nimmt immer wieder neu Maß von mir»

Der rote Faden dient so häufig als Gleichnis, daß man oft sagt: «Der berühmte (bekannte) rote Faden.» Er stammt aus Goethes Wahlverwandtschaften (1809). Dort wird berichtet, alles Tauwerk der englischen Flotte sei «dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen ... Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet.» Der Brauch in der englischen Flotte (anfänglich mit verschieden Farben) besteht seit 1776.

Georg Büchmann (1822 – 1884) Geflügelte Worte

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