Eingefädelt

Zwischen Nadel und Faden – ein literarischer Flickenteppich

Joachim Rönneper

„Wenn man sich einmal in seine Kindheit zurückversetzt, wird man feststellen, daß man schon als Kind ein sehr intensives Verhältnis zu gewissen Kleidungsstücken gehabt hat. Ich zum Beispiel nur in der Weise, dass ich keine neuen Kleider leiden konnte. Die habe ich alle erst einmal durch den Dreck gezogen. Die mussten alle erst einmal eine individuelle Form bekommen. Ich habe mir immer Sachen ausgesucht, in denen ich mich also richtig fühlte.“

Joseph Beuys (1921 – 1986)
Kleider machen Leute
im Gespräch mit Joachim Rönneper (* 1958)

Ein Pater aus Österreich ist von einer kontemplativen Leidenschaft ergriffen. Er sammelt Fäden, Fäden von Reliquien; vom Heiligen Rock in Trier ein Faden, vom Turiner Grabtuch ein Faden, von den Windeln Jesu im Aachener Dom ein Faden, vom Schweißtuch der Veronika im Kapuzinerkloster Manopello ein Faden: Fäden, an denen ein Glaubender hängt.

Den Faden des Lebens spinnen in der griechischen Mythologie die Moiren: Klotho, sie spinnt den Faden, Lacesis, sie bestimmt die Länge des Fadens, und Atropos, sie schneidet ihn, den Faden, ab - Ende keiner Fahnenstange, Ende eines Lebens. Sie aber, die Schicksalsgöttinnen, verlieren den Faden nicht. Diese Redewendung, geht ebenso auf die Antike zurück. Die griechische Sage vom «Ariadnefaden» erzählt von der Tochter des Kö¬nigs Minos von Kreta. Ariadne gab ihrem geliebten Theseus ein Garnknäuel mit auf dem Weg, damit dieser wieder aus dem Labyrinth zu Knossos herausfände. Der Geliebte durfte den Faden nicht verlieren: ein sinnbildlicher Leitfaden gegen Verwirrung und Irrung.

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