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Moderne erfüllen. Die Nähte werden zum grafischen, Bildflächen trennenden Gerüst. Die Grenze fasst radikaler Annegret Soltau auf. Der Aspekt des Zusammenfügens – und nicht nur das: des Sichtbarmachens dieses Prozesses ist bei ihr das ins Auge springende Motiv für die Verwendung des Fadens: das Zusammenfügen zerrissener, aber dabei nie unkenntlich gemachter, Nacktfotos von sich selbst und Verwandten thematisiert Verletzung und Verletzlichkeit: „Das Bild des Körpers, Gewalt, Schwangerschaft und Geburt, Generationsfolgen und die Suche nach den eigenen Wurzeln.“ Die Fragilität des abgebildeten Körpers in seiner Nacktheit wird durch das Zerreißen, das lose Zusammenfügen mit steifen Fäden und das notwendig beim Nähen entstehende Knittern der glatten Oberfläche sichtbar. Beim Selbstbildnis ist Annegret Soltau also Operateurin und Patientin in einer dialogischen Person. Der haptische, körperliche Strich, vom Zeichnungsstrich zum realen Fadenstrich ist - fast als Grafik - besonders auch auf der Rückseite der Zeichnung zu sehen. Eben diese Körperlichkeit der Verbindung von Flächen ist für Andreas My Thema. Seine Fäden verbinden wie Netzwerke geometrische Stückchen

unterschiedlichster Materialien. Im Gegensatz zu Kleben ist Nähen für ihn ein chirurgischer, handwerklicher Eingriff: „Der Faden als räumliche Linie, die sich kontrolliert im Raum bewegt - Zeichnung als Ausgangspunkt, Linien auf dem Papier, Fadenlinien im Raum, räumliche Zeichnungen, Kommunikationsmodelle, Fadenkörper.“ Zum Fadenrelief erweitert Timothy Agnew diese Idee: minimalistische, hochverdichtete reliefartige Bilder sind entstanden aus kleinen Leinwandflicken, die mit äußerster Sorgfalt gefärbt, gerissen und auf eine gespannte Leinwand angebracht werden. Die vielen Flicken, die kleinen ausgefransten Bandagen ähneln, dehnen sich wie ein Wurzelwerk in alle Richtungen aus. Nur von Nahem sieht man die Stiche der Nähte, die chaotischen Ränder der Leinwandflicken und Fäden, nimmt die satten Pigmente und das Wachs wahr. Das Wachs vereint die durch Fäden verbundenen Materialien zur homogenen Oberfläche. Zur homogenen Oberfläche verdichtet auch Susanne Waltermann ihre Arbeit mit dem Faden: horizontale Stiche (also Striche) in dichten aber unregelmäßigen Abständen überziehen und strukturieren ihre dicht perforierten Papierarbeiten, werden übermalt,

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